Wer durch die verschlungenen Gassen von Rosswag wandert, ahnt zunächst nicht, dass sich hier einer der spannendsten Neuaufbrüche der deutschen Weinszene vollzieht. Zwischen den historischen Fachwerkhäusern des Dorfs haben Olympia Samara und Hannes Hoffmann einen Mikrokosmos geschaffen, der die Württemberger Weinbautradition neu interpretiert – mit einer Klarheit der Vision, die ihresgleichen sucht.

steillagenweinberge von roterfaden

Terroir als Schicksalsfügung

Die Geschichte beginnt mit einer geologischen Besonderheit: Die Weinberge des Weinguts erheben sich auf reinem Muschelkalkgestein, das in dieser Ausprägung sonst eher im französischen Jura zu finden ist. Diese kalkdominierte Bodenstruktur, kombiniert mit der speziellen Mikroklimalage in 300 Metern Höhe, schafft ideale Bedingungen für tiefgründige, mineralisch geprägte Weine. Die terrassierten Steillagen, manche mit bis zu 60 Grad Neigung, zwingen zu kompromissloser Handarbeit – eine Herausforderung, die das Winzerpaar als Geschenk begreift.

Der Weg zur biodynamischen Exzellenz

Seit der Gründung im Jahr 2014 setzen Samara und Hoffmann auf biodynamische Bewirtschaftung. Doch ihr Ansatz geht weit über die üblichen Praktiken hinaus. Sie verstehen sich als „Fürsprecher der Reben“, eine Rolle, die minimale Intervention mit maximaler Aufmerksamkeit verbindet. Selbst hergestellte Präparate aus Brennnessel, Baldrian und Schafgarbe stärken die Widerstandskraft der Pflanzen. Die Biodiversität wird durch vielfältige Begrünung gefördert, während der Verzicht auf Bodenbearbeitung das mikrobiologische Leben schützt.

weingut roterfaden olympia und hannes

Besonders bemerkenswert ist ihr Umgang mit den alten Rebstöcken. Die Lemberger-Reben, gepflanzt in den 1960er bis 1980er Jahren, werden durch präzise Schnittführung und behutsame Laubarbeit zu höchster Qualität geführt. Die natürlich niedrigen Erträge von 25-30 Hektoliter pro Hektar – etwa die Hälfte des regionalen Durchschnitts – sprechen eine deutliche Sprache.

Kellerphilosophie der sanften Hand

In ihrem zur Weinkellerei umgebauten Scheunengewölbe praktizieren Samara und Hoffmann eine Vinifikation, die an Klarheit und Konsequenz besticht. Ganztraubenvergärung beim Spätburgunder, schonende Entrappung beim Lemberger und vertikale Korbpressen für kristallklaren Most sind nur der Anfang. Die Vergärung erfolgt ausschließlich mit natürlichen Hefen in offenen Bütten, ohne Temperaturkontrolle, nur gesteuert durch die natürliche Kelleratmosphäre.

Der Ausbau in neutralen Holzfässern verschiedener Größen (228 bis 1.200 Liter) gibt den Weinen Zeit zur Entwicklung. Ein einziges Abstichen vor der Füllung, der Verzicht auf Schönung und Filtration sowie minimale Schwefelgaben vervollständigen das Bild einer Weinbereitung, die auf absolute Authentizität zielt.

Die Weine: Ausdruck des Ortes

Das Portfolio des Weinguts spiegelt die Konzentration auf das Wesentliche wider. Der Lemberger „Endschleife“ von 55 Jahre alten Reben verkörpert die neue Definition dieser traditionellen Württemberger Sorte: Wild-würzig, mit einer faszinierenden Balance aus roter Frucht und kalkgeprägter Mineralität, entwickelt er sich im Glas über Stunden dramatisch weiter.

Der Riesling von über 50 Jahre alten Reben nach Südwesten zeigt eine für Württemberg ungewöhnliche Präzision. Grüner Apfel, Chinin und eine ausgeprägte Steinigkeit vereinen sich zu einem Weinerlebnis, das die Herkunft unmittelbar spürbar macht.

Der Spätburgunder von den steilsten Kalkterrassen komplettiert das Sortiment mit einer eigenwilligen Interpretation der Sorte. Cranberry, sommerlicher Waldboden und weißer Pfeffer, unterstützt durch die griffige Struktur der Ganztraubenvergärung, zeichnen das Bild eines Weins, der Finesse mit Charakter verbindet.

Mit einer Jahresproduktion von nur 15.000 Flaschen hat sich das Weingut zu einem Leuchtturm der deutschen Naturweinbewegung entwickelt. Der Erfolg in anspruchsvollen Märkten wie Berlin, Kopenhagen und New York bestätigt den eingeschlagenen Weg. Noch wichtiger aber ist die Strahlkraft in die Region: Immer mehr Nachbarwinzer lassen sich von der kompromisslosen Qualitätsorientierung inspirieren.

Das nächste Projekt des Paares, die Wiederbepflanzung aufgegebener Terrassen mit Massenselektionen ihrer ältesten Lemberger-Reben, zeigt den Blick in die Zukunft. In Zeiten des Klimawandels erweisen sich die hochgelegenen, kühlen Lagen als strategischer Vorteil. So wird in Rosswag Weinbaugeschichte neu geschrieben – mit einem roten Faden, der Vergangenheit und Zukunft verbindet.